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04/aCHzig_Margareten mon amour

Eine Stadt - und noch viel mehr eine Großstadt wie Wien - ist immer eine Summe vieler kleiner Städte, Quartiere oder Grätzel, wie man in Wien sagt. Und wenn dann ein Wienreisender eine Wienreisende zufällig trifft in irgendeiner Bar an irgendeinem anderen Ort auf dieser Welt, dann erzählen sie einander wahrscheinlich von völlig unterschiedlichen Erlebnissen und Realitäten von verschiedenen Orten, die denselben Namen tragen. Denn Wien ist eben nicht nur Wien, sondern der Prater, die Donau, Grinzing, aber auch Favoriten oder das Hanappistadion oder der Bisamberg undsoweiterundsofort. Außer sie haben denselben Reiseführer im Gepäck, dem sie blind vertrauen - das ist natürlich nicht ausgeschlossen. Oder sie schieben es dem Schicksal in die Schuhe, und wähnen sich in einem magischen Moment. Da möchte ich mich dann allerdings nicht weiter einmischen und schon gar nicht möchte ich in Frage stellen, was das Schicksal scheint’s beschlossen hat.

Als wir, meine Frau und ich, einen Ort in Wien gesucht haben, um ein Bett und einen Schreibtisch in meiner Heimatstadt zu haben, da waren die Anforderungen schnell gestellt: Zentrumsnah gelegen, Altbau klein, aber geräumig - man will auch ab und zu Gäste beherbergen können - in einem urbanen, lebendigen Quartier. Wien ist schön - ganz ohne Zweifel. Gute Orte, viel zu sehen und viel zu tun, da muss man gar nicht diskutieren. aber alles auf einmal: zentrumsnah, lebendig, günstig… Jetzt verstehst du vielleicht, warum ich in Margareten gelandet bin. Denn wenn ich heute in Wien bin, muss ich unter Umständen noch nicht einmal mein Fahrrad aus dem Keller holen, geschweige denn ein Fahrkarte der Wiener Linien erwerben und ich bin dennoch überall dort wo ich sein möchte. Beim Bäcker – vis-à-vis. Beim Italiener meines Vertrauens – vis-à-vis. Pizza, Kino, Buchhändler alles around the corner, wie der moderne Wiener sagt.

Darum handelt diese Geschichte von Margareten, dem kleinsten der 23 Wiener Gemeindebezirke. Ich sag dir jetzt ganz einfach, was ich an einem ganz normalen Arbeitswochenende in Wien, Margareten mache, und wenn du nur halbwegs so denkst wie ich, wenn du mir ein bisschen vertraust, ich garantiere dir, du machst dasselbe und sagst: Margareten ist leiwand! (lässig, super, mega – such’s dir aus.)

Also pass auf: du machst dann folgendes: Steh in der Früh auf, fahr nach Schönbrunn - du kannst auch laufen, es ist nicht weit - und dreh ein, zwei oder drei Runden im Park. Das tut dir gut, denn Laufen ist gesund und du tust auch was für deine Bildung, denn im Schlosspark von Schönbrunn, da ist manch Weltbewegendes geschehen. Wenn du Detail wissen willst, klären wir das ein anderes Mal, oder du googelst es halt , aber die Habsburger, allen voran Maria Theresia und Joseph II, Franz Joseph und Sisi natürlich auch, und all die anderen sind hier spazieren gegangen und werden sich ja wohl auch was gedacht haben dabei. Und zweitens ist der Ort so schön, da ist das Denken allein schon Welt bewegend.
Du wirst wahrscheinlich mit Recht behaupten, dass Schönbrunn gar nicht in Margareten liegt, aber Ausnahmen gehören zu Wien wie der Wein und die Kapuzinergruft und außerdem ist Margareten zu klein und zu kompliziert zu laufen, der Schönbrunner Schlosspark dafür nur wenige km oder 4 U-Bahnstationen entfernt und sehr viel besser geeignet.

Du kannst die Runden zählen, track sie auf irgend einer app, poste sie auf facebook, mach was du willst, das spielt alles keine Rolle, Hauptsache du bewegst dich überhaupt. Dann fahr nach Hause, mit der U-Bahn oder laufe, und nimm zwei Dinkelcroisssants beim Felzl mit - die sehen aus aus wie Croissants, schmecken wie Croissants, fühlen sich an wie Croissants. Aber du denkst hinterher nicht, wäre ich doch nur fünf Runden mehr gelaufen …

Duschen und dann läufst du über den Naschmarkt, trinkst einen Kaffee in einem der zahlreichen Cafés oder Bars - im Drechsler zum Beispiel, oder beim DoAn. Wenn du willst, lauf weiter in die Innenstadt. Die Innenstadt heißt so, das kann ich nicht ändern, und ist auch tatsächlich die Innere Stadt, der 1. Bezirk. Geh ins Museum, in die Kapuzinergruft zum Meinl am Graben, whatever, ich mach das auch, aber selten mit Plan. Lass dich treiben, es gibt viel zu sehen. Und meine Theorie ist ja: Wenn du schon weißt, was du gesehen haben willst, dann musst du es eigentlich nicht mehr anschauen.

Wichtig ist nur: Setz dir ein Limit, damit du dich nicht verlierst. Wien ist vielleicht nicht so groß wie, sagen wir mal, London, aber glaube mir, groß genug, um dich zu verschlingen. Also rechtzeitig nach Hause, versprich mir das, Beine hochlegen. Mach was Nützliches, wenn du was dabei hast zum Nützliches tun und dann bleib im Quartier. Margareten ist nicht groß, aber groß genug, um alles zu haben. Einen Buchhändler zum Beispiel. Den wenigen die zu überleben gelernt haben, müsstest du ohnehin Respekt entgegen bringen, gar nicht so sehr meinetwegen. Frag die Freunde von der Buchinsel <buchinsel.at>, was es Lesenswertes zu entdecken gibt in Wien, sie helfen dir weiter.

Ohne Essen geht es nicht - nirgends auf der Welt und schon gar nicht in Wien. Du hast die Wahl: Pizza, Schnitzel, Chateaubriand. Alles unter einem Dach im Schlossqudrat. Entscheid dich, alles ist empfehlenswert. und dann sei einfach ein bisschen spontan. Schräg vis-à-vis ist das Filmcasino. Ich geh dort hin, weil es das Filmcasino ist und spiele dort eine Art cineastisches Roulette. Ich nehme was kommt, denn Vertrauen ist das halbe Leben und meistens wird es nicht enttäuscht. Falls es doch mal vorkommen sollte, dass ich einen Film sehe, der mir nicht gefällt, I don't blame them. Es ist das Filmcasino und eines der wenigen Programmkinos in Wien die noch existieren. Sieh es mal anders, als herrlichen Anachronismus in unserer Zeit, lass dich überraschen, nimm den Film so wie er ist und mach das beste daraus. Du musst ja nicht applaudieren im Kino, es war ein recht preiswertes Vergnügen allemal und geh in die italienischste aller italienischen Bars in Wien <La vita e bella> und reflektiere deine Eindrücke. Du kannst auch Marco deinen Ärger oder deine Begeisterung vermitteln, er wird damit umzugehen wissen.

Wie lang du bleibst - it's up to you. Ich bin ja nicht dazu da, dir Vorschriften zu machen, sondern nur Vorschläge: Insofern, morgen ist auch noch ein Tag …

Apropos. Falls du noch Zeit hast: Herr Smiljan schneidet Haare. Ja, mein Coiffeur, das ist der Smiljan, sitzt auch around the corner. Und das nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich. Und das war nun wirklich eine schicksalshafte Begegnung: nach 15 Jahren haben wir uns an unserer neuen, gemeinsamen Hausecke wieder gefunden und wenn so etwas passiert, muss ich sagen, lohnt es sich nicht, sich dagegen zu wehren. Seitdem schneidet Herr Smiljan meine Haare und noch einigen anderen Freunden ebenso, die nicht zuletzt wegen ihm einen Besuch in Margareten einplanen.

Vom UBL habe ich dir schon bei anderer Gelegenheit berichtet, aber ein Wiener Schnitzel geht sich allemal aus. Du kannst zur Abwechslung auch zur Weinschenke gehen. Das klingt aus gutem Grund nach Altem Gasthaus - die Jungs dort machen aber die wahrscheinlich besten Hamburger der Stadt.

Falls du noch immer genug hast, dann sage ich dir noch das eine: Margareten ist das Village von Wien – du triffst hier alles, was möglich ist: Migranten und bürgerliche – bürgerliche Migranten ebenso. Arbeiter und Künstler, Italiener, Juden, Araber. Und sehr viel Leben auf der Strasse. Und das ist es ja letztlich, was eine Stadt ausmacht: das Leben - du weißt was ich meine!

Demnächst wieder!
Dein Avi

avis choice

aCH der Österreicher empfiehlt

Einkaufen

-der Nahversorger: felzl, das Leben ist gut, mit einem Dinkelcroissant und einem doppelten Espresso.

to do

NASCHMARKT, man teilt ihn sich mit vielen Touristen. Aber auch die wissen warum...

- Abends und für das Kulturelle: FILMCASINO das sympathischste unter den Programmkinos in Wien. Und ehrlich, ich freue mich, wenn ich keine Karte bekomme, weil ausverkauft ist...!

-die Buchhandlung meines Vertrauens: buchinsel

-Morgens – Mittags – Abends: SCHLOSSQUADRAT: ob Frühstück im Cuadro, Pizza im Margareta, oder Schnitzel im Silberwirt, vor allem aber das Chateaubriand im Gergely’s, im Schlossquadrat kann man zu jeder Tages- und Nachtzeit glücklich weden – aber selbstverständlich nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst.

-der Coiffeur: HERR SMILJAN so wie ich mir das vorstelle. Sauber, schnell, perfekter Schnitt und unprätentiös. Extras auf Verlangen.

-die vielleicht italienischste aller italienischen Bars in Wien: LA VITA È BELLA

-Für das Wiener Schnitzel: Gasthaus UBL – der Beweis, dass das Gasthaus nicht von Gestern ist.

-Der Hamburger: WEINSCHENKE, die vielleicht besten Burger in Town...